Tongariro Northern Circuit

„One does not simply walk into Mordor.“ Besonders schwer ist es allerdings auch nicht: Man kann mit dem Auto bis Whakapapa Village fahren. Danach sind es nur noch vier Stunden Wanderung und man kann am Fuße des Schicksalsberges campen. Kein Grund mit Adlern zu fliegen. Aber der Reihe nach…

Tag 1 – 07.02.

Um 8:00 Uhr klingelt der Wecker. Wir klappen das Bett zusammen und frühstücken alle Reste weg, die sonst vermutlich im Van vergammeln würden. Ausrüstung für vier Tage Wanderung nochmal durchgehen und final einpacken. Es folgt eine kurze Fahrt von der Mangahuia Campsite nach Whakapapa Village. Dort stellen wir Schorschel ab und laufen die letzten Meter zum Besucherzentrum des Tongariro-Nationalparks. Wir melden uns als Wanderer an und bekommen ein Dauerparkticket für Schorschel. Die Dame verrät uns auch den Parkplatz, auf dem wir ihn stehenlassen sollen. Die Wetterinfos sollen wir uns von den Monitoren zusammensuchen, die dort rumhängen. Sonst gibt es wenig sinnvolle Informationen, z.B. dazu wie man sich bei einem tatsächlichen Vulkanausbruch verhalten sollte. Es steht zwar, dass man sich damit vertraut machen sollte, aber eine Tafel mit Schritten, die zu unternehmen wären, finden wir nicht. Das muss man vermutlich einfach wissen. Wir genießen den Luxus des letzten Klos mit Wasserspülung für die nächsten 72 Stunden, parken den Van um, schnüren die Wanderstiefel und setzen die Rucksäcke auf.

Das Wetter ist bestens. Vor uns sehen wir bereits Mount Ngauruhoe. An dessen Fuße ist auf der Rückseite das Tagesziel: Mangatepopo Campsite. Davon trennen uns noch knappe zehn Kilometer und nicht allzu viele Höhenmeter. Wir werden ihn während der gesamten Wanderung immer zur Rechten halten und auf dem Tongariro Northern Circuit einmal umrunden. Vor uns liegen insgesamt vier Etappen mit etwa 45 Kilometern.

Mount Ngauruhoe ist eigentlich nur der jüngste Kegel des Mount Tongariro-Komplexes. Er wird jedoch oft als eigenständiger Berg geführt. In der Verfilmung des Herrn der Ringe spielte er die Rolle des Schicksalsberges, zu dem der eine Ring getragen werden muss, um ihn dort vernichten zu können. In direkter Nachbarschaft und heute in unserem Rücken haben wir Mount Ruapehu. Er war einer der aktivsten Vulkane des 20. Jahrhunderts. Sein schneebedeckter Gipfel bildet mit 2797 Metern Höhe den höchsten Punkt der neuseeländischen Nordinsel.

Los geht’s. Das erste Stück führt uns auf einer Straße aus dem Ort hinaus. Danach folgt für eine Weile ein geschotterter Wanderweg, der Teil des Taranaki-Falls-Tracks ist. Wir durchqueren ein paar kleine Täler mit Bäumen und Schatten. Immer mal wieder queren wir auch Brücken über Flüsse und Bäche. So weit, so einfach.

Wir zweigen vom Taranaki-Falls-Track ab, den wir in drei Tagen wiedersehen werden. Ein Schild sagt uns noch drei Stunden Wanderung voraus – oder fünf Stunden bei schlechtem Wetter. Dann wird’s holprig. Unser Weg verläuft entlang eines Hohlweges, der uns etwa hüfttief verschlingt und unten teilweise nicht breiter als ein handelsüblicher menschlicher Fuß ist. Wir wechseln immer wieder zwischen laufen im Hohlweg und laufen auf den Schultern des Hohlwegs. Die dicken Gesteinsbrocken, die im Weg rumliegen, machen das wandern auch nicht unbedingt angenehmer oder einfacher. Wenn es Treppenstufen gibt, sind sie gern kniehoch oder auch höher. Die Sonne brennt. Es gibt kein bisschen Schatten. Unsere Versuche regelmäßig zu trinken ist alles was hilft. Ansonsten sind wir sehr sparsam mit Pausen.

Irgendwann ist die Hütte voraus zu sehen. Direkt daneben dürfen wir Camper unsere Zelte aufschlagen. Hier gibt es keine Zweiklassengesellschaft, wie wir sie auf anderen Wegen kennengelernt haben. Abgesehen von den Betten und Matratzen dürfen wir alle Annehmlichkeiten der Hütte nutzen. Erstmal erholen wir uns jedoch im Schatten der Hütte und genießen die Aussicht auf Mount Ngauruhoe, an dessen Fuß wir uns nun unmittelbar befinden. Neben den Aussichten bietet die Hütte noch Wasser aus Pump-Wasserhähnen und Plumpsklos.

Angeblich gibt es einen See, in dem wir baden könnten. Andererseits soll man die alpinen Gewässer nicht berühren, da sie und die Berge von hoher spiritueller Bedeutung für die lokalen Māori-Stämme sind. Aus diesem Grund gibt es auch keine Gipfelbesteigungen. Wir könnten ja den Hütten-Ranger fragen. Der ist allerdings nur ganz kurz zu sehen und bleibt danach verschwunden. Den zu fragen ist also auch nicht drin. Die Hüttenrede, die laut der Tafel um 19:00 Uhr stattfinden soll, fällt auch aus.

Zum Abendbrot gibt es unser Dreigängemenü: Als Vorspeise Tütensuppe und Brot, das wir trotz allem Stopfens nicht mehr geschafft haben vor der Wanderung aufzuessen. Im Hauptgang werden Asia-Nudeln gereicht. Das Dessert bildet ein Apfel. Wir kochen in der Hütte, so müssen wir nicht unser eigenes Gas mit unserem kleinen Kocher verbraten.  Während wir da so sitzen, kommen wir mit zwei Neuseeländerinnen ins Gespräch. Die eine „spreken Deutsch ein bieschen.“ Ihr Sohn hat eine Dresdnerin geheiratet und die Enkel wachsen jetzt dort auf. Wir erklären ihr, dass in Dresden nicht unbedingt das einfachste Deutsch gesprochen wird. Aber das hat sie auch schon mitgekriegt. 

Der Sonnenuntergang findet direkt vor unserem Zelt statt. Direkt daneben ist der über 100 Kilometer entfernte Mount Taranaki zu sehen. Er ist, ebenso wie Mount Ngauruhoe, ein wunderschön kegelförmiger Vulkan, der sich aus dem Dunst der Täler und den Wolken erhebt. Als es dunkel ist schnappe ich mir nochmal die Kamera und das Stativ und fotografiere die Sterne über uns und Mount Ngauruhoe.

Tag 2 – 08.02.

Um 7:00 Uhr klingelt unser Wecker. Nachdem wir Isomatte und Schlafsack eingerollt haben, schnappen wir unsere Küchenausrüstung und das Frühstück und trotten zur Hütte. Von den Zelten ist nicht mal mehr die Hälfte da und die Hütte ist schon komplett leer. Wir dachten, wir haben zumindest einen halbwegs frühen Start. Da waren viele andere wohl deutlich früher dran. Aber so ist es zumindest am Herd und beim Abwasch nicht so voll.

Der Ranger ist noch da und packt seine Sachen. Heute ist seine Schicht zuende. Hier arbeiten sie im Rhythmus 8 Tage Arbeit und 6 Tage frei. Er verbrennt seinen Müll im Ofen, weil er keine Lust hat ihn mitzuschleppen. Wir wechseln ein paar Worte, aber sein starker Māori-Akzent macht es wirklich schwer ihn zu verstehen.

Wir bauen das Zelt ab und starten irgendwann auf unsere zweite Etappe, die uns zur Oturere Hut führt. Das erste Stück führt sanft bergauf. Fünf Minuten abseits des eigentlichen Weges liegt ein Wasserfall namens Soda Springs. Dem statten wir einen Besuch ab – fünf Minuten hin, fünf Minuten gucken, fünf Minuten zurück. Es ist ein netter kleiner Wasserfall. Wir merken aber sehr deutlich, dass wir unseren Weg heute mit der sehr beliebten Tageswanderung Tongariro Alpine Crossing teilen. Es ist ziemlich voll.

Kurz hinter dem Abzweig zu den Soda Springs, teilt uns ein Schild mit „Das war der leichte Teil. Wenn das Wetter über dem Berg nicht gut aussieht, ist hier die letzte Chance umzudrehen.“ Wir haben heute wieder strahlenden Sonnenschein und gehen dementsprechend weiter. Die Tanks der Plumpsklos am Weg werden gerade leergeschnorchelt und per Hubschrauber ausgeflogen. Ich hatte mich schon über den regen Flugverkehr gewundert.

Dann wird es anstrengend: Wir steigen Devil‘s Staircase zwischen Ngauruhoe und Tongariro hinauf. Auf uns warten 300 Höhenmeter mit Serpentinen und Treppen. Dann erreichen wir ein Plateau. Es sieht aus als gäbe es kein Leben hier, nur Sand, Asche, Staub und Steine. Rechts von uns soll laut meiner Karten App ein See liegen. Hinter einer Anhöhe finden wir allerdings nur ein leeres Tal, in dem mal ein See gewesen sein könnte. Der letzte Anstieg für heute kommt näher. Es warten nochmal 290 Höhenmeter auf uns, bis wir auf 1868 m den höchsten Punkt der Wanderung erreichen. Eigentlich wäre jetzt ein guter Moment für eine Pause. Aber der Wind pustet kalt und kräftig. Unsere Hüte gehen beinahe flöten. Wir wandern ein Stück an der Kante des Red Craters entlang bevor wir zu den Emerald Lakes absteigen. Der Weg hinunter besteht hauptsächlich aus Vulkanasche und ist dementsprechend weich.

Als wir an den Emerald Lakes ankommen haben meine Beine einen sehr dunklen Teint angenommen. Vermutlich wäscht der sich schnell wieder aus. Wir befinden uns im Windschatten. Also holen wir die Pause nach und wärmen uns in der Sonne wieder auf. Dazu gibt es Quetschies, Riegel und Wasser. Es riecht ein wenig schwefelig. Das muss wohl von den dampfenden Löchern kommen, die hinter den Seen liegen. Eine Schulklasse kommt den Abhang hinunter geschliddert. Das sorgt neben dem ohnehin schon regen Treiben nochmal für zusätzliche Unruhe. Wir brechen wieder auf. Hinter den Lakes biegen wir rechts ab und sind plötzlich wieder komplett alleine. Das hatten wir den ganzen Tag noch nicht.

Vor uns liegt ein steiler Abstieg auf einem schmalen Weg, eingefasst (und immer wieder durchbrochen) von scharfkantigem oder porösem Vulkangestein. Wir kommen auf einem Plateau an und sind plötzlich nicht mehr auf der Erde. Lulu meint Mars oder Mond. Ich warte nur darauf, dass eine Horde Orks an uns vorbeizieht, weil sie ans Schwarze Tor verlegt wurden. Bis zur Hütte geht es noch sanft bergab. Die lässt sich allerdings erst 200 Meter bevor wir da sind sehen. Ich fing schon an zu zweifeln…

An der Hütte erstmal Stiefel ausziehen und im Schatten entspannen, ein bisschen snacken und Wasser trinken. Wir stellen das Zelt auf und auch hier gibt es keine Trennung zwischen Zelt- und Hüttenbewohnern. Man erzählt untereinander ein bisschen: Wie war der Tag? Was war euer Highlight?

Lulu fragt „Wollen wir um 6 essen? Ist noch eine halbe Stunde hin.“ „Klingt gut.“ In der Hütte sind alle Herdfelder belegt also nehmen wir unseren kleinen Kocher und machen uns draußen auf einer Tisch-Bank-Kombination Essen. Ich gucke nochmal auf die Uhr und es ist erst 5. Da kann anscheinend jemand seine Uhr nicht ganz lesen. Appetit ist trotzdem da. Nach dem Abwasch taucht Rangerin Sally auf und möchte ihre Hüttenrede halten, heute gibt es also eine. Die Themen sind heute: Brandschutz, allgemeine Verhaltensregeln und eine Vulkan-Belehrung. Tongariro und Ngauruhoe sind auf Stufe 0 von 5. Ruapehu ist auf Stufe 1, aber der ist nie auf Stufe 0. Es folgt das Wetter: Morgen wird es im Laufe des Tages zuziehen und ungemütlicher werden, potentiell mit Regen gegen Abend. Für unsere Wanderrichtung ist das kein Problem. Alle die in der Gegenrichtung unterwegs sind und über den Pass wollen, sollten so früh wie möglich aufstehen, nochmal gucken wie es über dem Ngauruhoe aussieht und bei gutem Wetter aufbrechen.

Keine fünf Minuten entfernt, direkt hinter der Kante des Plateaus auf dem die Hütte liegt, ist noch ein Wasserfall. Den gucken wir uns an. Da badet gerade jemand nackt oberhalb des Wasserfalls. Es ist der Deutsche, der jedem schon seine Geschichte erzählt hat und jetzt anscheinend kein Opfer mehr gefunden hat. Dann geht’s für uns auch schon langsam in Richtung Bett. Lulu kränkelt ein wenig, um es vorsichtig auszudrücken. Ihre Nacht startet mit Paracetamol. Als es schon dunkel ist kommt noch ein französisches Pärchen anmarschiert. Ihre Stirnlampen flackern munter übers Zelt und leise-sein liegt ihnen auch nicht sonderlich. Lulu ist nur mittelmäßig erfreut.

Tag  3 – 09.02.

Unser Wecker klingelt wieder um 7:00 Uhr und wieder sind fast alle schon weg. Als wir frühstücken kommt ein Pärchen aus Richtung Sattel. Die müssen ja früh aufgebrochen sein, wenn sie noch vor 8:00 Uhr ihre komplette Etappe hinter sich haben. Es sind allerdings nur die Franzosen. Sie waren zum Sonnenaufgang nochmal oben am Blue Lake, den wir gestern nur vom Sattel gesehen und dann links liegen gelassen haben. Ranger Sally ist auch auf den Beinen: „In 15 Minuten würde ich gern die Hütte putzen.“ Ich glaube, das ist ihre freundliche Art zu sagen, dass wir uns mit dem Frühstück mal beeilen sollten.

Zelt abbauen, Sachen packen und los geht’s. Lulu quält sich. Zum Glück geht es heute tendenziell eher bergab. Sally hat uns gestern fünf Hügel zum Überqueren vorhergesagt. Die können wir einfach abhaken und schon haben wir die Etappe zur Waihohonu Hut geschafft. Der letzte Hügel hat es aber nochmal in sich. Zum Glück verläuft der Weg im Schatten. Sowieso ist bisher jeder Tag anders, im Gegensatz zum Queen Charlotte Track. Von oben kann man die Hütte sehen. Sie scheint eine andere Nummer zu sein, als die ersten beiden Hütten. Kein Wunder, dass Sally die Hütte „Palast am Tongariro“ genannt hat.

Am Fuße des letzten Hügels liegt die Campsite idyllisch am Fluss. Hinter dem Fluss, drei Minuten weiter und einen kleinen Anstieg hinauf liegt die Waihohonu Hut. Wir stellen erstmal das Zelt zum Trocknen in die Sonne und gehen uns dann eintragen. Trotz räumlich größerer Trennung dürfen wir wieder alles mitbenutzen. Von hier besichtigen wir die historische Waihohonu Hut von 1904, die etwa zehn Minuten entfernt liegt. Sie ist die erste Hütte hier im Nationalpark und die älteste überlebende Hütte in Neuseeland. Es gibt ein größeres Zimmer mit Kamin für die Herren und ein kleineres Zimmer für die Damen. Nach einigem Bitten erhielten sie als Luxusgegenstand einen kleinen Spiegel in ihrem Zimmer.

Auf dem Rückweg biege ich kurz vor der Hütte zu den Ohinepango-Quellen ab. Lulu geht schon vor in Richtung Zelt, um sich so gut es geht zu kurieren. Am Schild standen 20 Minuten zu den Quellen. Wenn ich dort auf die Uhr geguckt hätte, wüsste ich unterwegs, wie weit ich schon bin. Links des Weges ist ein kleines Wasserloch, soll es das schon sein? Ich gehe weiter. Nach etwa 15 Minuten bin ich an der Quelle. Unter einer Felswand quillt Wasser hervor und fließt dann in einem total klaren Fluss ab. Das Baden ist verboten. Nachdem ich mich sattgesehen und ein paar Fotos gemacht habe, kehre ich zum Zelt zurück. Dort angekommen liegt Lulu draußen auf einer Bank. Im Zelt in der prallen Sonne war es einfach zu warm.

Nachdem die Sonne etwas gewandert ist und das Zelt größtenteils im Schatten steht, wagt sie ein weiteren Anlauf zu einem Nickerchen. Scheint ganz gut zu klappen, zumindest bleibt sie verschwunden. Dafür taucht ein Pärchen auf, wirft die Rucksäcke ab und verschwindet in Richtung Hütte. Ich lese ein wenig. Er kommt zurück. „Ich bin Henning. Hast du meine Schwester gesehen? Du sprichst doch deutsch?“ Ich bin etwas verwundert. „Ihr wart die einzigen Camper oben in der Liste und da stand, dass ihr aus Deutschland seid.“ Jetzt macht’s auch bei mir Klick. Wir unterhalten uns ein wenig über die zurückgelegten Etappen. Sie sind heute von der Mangatepopo Hut gekommen, haben also eine Hütte ausgelassen. Dabei haben sie sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Frido – ebenfalls deutsch – geleistet, der jetzt auch gerade den letzten Abstieg hinunter kommt. Er hat irgendwo unter einem Baum ein Nickerchen gehalten. Hennings Schwester taucht auch wieder auf, sie stellen das Zelt auf und Henning geht ostdeutsch im Fluss baden, wie er es nennt.

Als wir gerade unseren Koch- und Essbeutel packen, kommt Rangerin Andrea vorbei. Sie sagt, sie will in 30-40 Minuten die Hüttenrede halten. Wo sie schon mal hier ist, frage ich sie noch, wie man eigentlich den Schicksalsberg ausspricht. Ihre Antwort lautet „Nau-ru-heu“. Sie sammelt noch ein paar weitere Leute ein. Wir packen zuende und gehen in Richtung Hütte fürs Abendbrot. Gerade so zum Wasserkochen für Tee reicht die Zeit, dann geht die Hüttenrede los: Nicht die Hütte abfackeln, allgemeine Verhaltensregeln, Wetter. Morgen wird es voraussichtlich den ganzen Tag sehr leicht regnen, von vorm Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Der Wind wird etwas stärker als heute. Andrea fährt fort mit der Geschichte des Nationalparks. Der Tongariro-Nationalpark war der erste in Neuseeland und der sechste weltweit. Moooooooment… Gestern Abend war es noch der weltweit vierte Nationalpark. Ich frage mal nach, woraufhin es einen etwas detaillierteren Ausflug in die Geschichte des Parks gibt. Seit 600 Jahren siedeln hier Maori-Stämme. Sie sind bis heute sehr mit dem Land verbunden auf dem sie leben und wie bereits erwähnt sind die Bergspitzen heilig. Wie die englische Krone in den Besitz des Landes gekommen ist, basiert auf einer Fehlübersetzung des Wortes „tuku“ mit „Geschenk“. Die wahre Bedeutung wird uns von Andrea mit dem Hund der Familie erklärt: Er gehört allen in der Familie, jeder muss sich kümmern, jeder hat Freude daran. Aber keiner einzelnen Person gehört der Hund. Sowas in der Richtung bedeutet eigentlich auch „tuku“. Haben die Maori etwa den Sozialismus erfunden? Wie dem auch sei… Je nachdem, ob man den Zeitpunkt des „Geschenks“ an die englische Krone oder das tatsächliche Inkraftsetzen des Nationalpark-Erlasses betrachtet, ist Tongariro irgendwas zwischen dem dritt- und dem sechstältesten Nationalpark weltweit.

Nachdem die Rede durch ist, setzen wir unsere Abendbrots-Prozedur fort. Heute gibt es zuerst ein Süppchen, im Hauptgang Wraps gefüllt mit 90-Sekunden-Reis, Hühnchen aus der Dose und Käse. Den Abschluss bildet ein Apfel. Lulu quält sich das Essen rein. Nach dem Abwasch ist es bereits dunkel draußen und wir suchen das Zelt auf. Mal sehen, wie lang uns das Wetter schlafen lässt. Es blitzt ein paar mal. Ich denke zuerst jemand hat mal wieder seine Taschenlampe nicht im Griff. Dann kommt aber auch Donner dazu. Ein Gewitter, das hat jetzt gerade noch gefehlt. Es zieht aber glücklicherweise vorbei und lässt uns einschlafen.

Tag 4 – 10.02.

Der Regen weckt uns. Es nieselt ganz leicht aber ununterbrochen. Wir packen alles im Zelt zusammen und bauen das Zelt im Regen ab. Ich strapse es von außen unter den Rucksack und wir gehen zur Hütte, um zu frühstücken. Dort sind (fast) alle schon wieder weg. Wir bereiten unser Frühstück zu und essen es ohne jede Eile. Vielleicht wird es ja doch noch etwas trockener draußen. Aber die Sonne spielt nur mit uns wenn sie mal ein bisschen heller und mal ein bisschen dunkler durch die Wolken scheint. Irgendwann brechen wir einfach auf.

Ich probiere mal aus, was ich bei einigen Wander-Youtubern gesehen habe: Einfach mal mit Regenschirm wandern und dafür das Regenzeug weglassen. Der Regen ist nicht zu stark und es ist warm genug, dass ich im Regenzeug anfangen würde zu schwitzen und dann doch wieder nass wäre. Das erste Stück geht ganz gut in kurzer Hose und T-Shirt. Dann verlassen wir den Windschatten, in dem die Hütte liegt. Nach etwa 3 Kilometern gebe ich die Nacktheit auf und ziehe meine Strickjacke über. Aber so bleibe ich doch tatsächlich trockener als hätte ich die volle Montur an. Das kleine Schirmchen hält das Werbeversprechen, nach dem er im Windtunnel mit 100 km/h getestet wurde. Die Geschwindigkeiten erreichen wir heute zum Glück nicht, aber es weht doch ordentlich.

Viel zu sehen gibts erstmal nicht. Alles hängt im Dunst. Ein paar Wolken ziehen vorbei. Der Weg ist heute gut ausgebaut und an besonders nassen oder matschigen Stellen sind immer wieder Planken verlegt. Später kommen allerdings Täler dazu, in denen das Wasser abfließt. An einigen Stellen gibt es Brücken, an anderen muss man auf größeren Steinen über den jeweiligen Strom tänzeln. Nach ungefähr neun Kilometern kommt der Abzweig zu den Tama Lakes und das erste Klo der Wanderung – welch ein Segen. Den unteren Tama Lake besuchen wir, da der Umweg nur 20 Minuten beträgt. Die oberen Tama Lakes lassen wir aus, da sie nochmal 2 Stunden zur heutigen Wanderung hinzufügen würden. Hier sind durch große Explosionen Krater entstanden, die mit der Zeit mit Wasser vollgelaufen und nun Seen sind.

Weiter geht’s und nach nicht allzu langer Zeit stoßen wir auf das hintere Ende des Taranaki Falls Tracks. Über den Zufluss des Wasserfalls geht eine Brücke. Hier gucken wir erstmal von oben dem Wasser hinterher. Vom Wasserfall ist aber nichts zu sehen. Also setzen wir unsere Wanderung auf dem unteren Teil des Taranaki-Falls Tracks fort. Hier sieht man den Wasserfall auch von unten und läuft durch einen Wald immer am Wairere Strom entlang. Schließlich treffen wir wieder auf den Abzweig von vor 3 Tagen. Das heißt aber auch, dass wir die Täler, über die ich mich am ersten Tag noch so gefreut habe, weil sie Schatten spendeten, nun auch wieder durchqueren müssen. Wir haben also noch Anstiege nach dem letzen Anstieg vor uns. Das löst in Lulu mal wieder ein leichtes Treppen-Tourrette aus und sie flucht ein wenig vor sich hin.

Als wir Whakapapa Village erreichen, wollen wir noch ins Besucherzentrum, um uns die Aufnäher für den Rucksack zu besorgen, die wir vorm Loswandern gesehen haben. Es ist 14:59 Uhr, das Besucherzentrum schließt um 15:00 Uhr. „Wir wollen gerade schließen. Was wollt ihr denn noch?“ „Wir haben gerade den Northern Circuit abgeschlossen und wollten noch schnell die Aufnäher kaufen. Wir wissen welche wir wollen und wo sie hängen.“ „Na dann kommt mal noch schnell rein. Das kriegen wir gerade so noch hin.“ Als wir glücklich das Besucherzentrum verlassen hält ein Bus vor der Tür und wird abgewiesen.

Bergab gehts die letzten Meter zu Schorschel. Er hat auch diese Wanderung ohne Blessuren überstanden. Gegenüber gibts einen Stand für Kaffee und diverse Snacks. Für mich wird’s ein Mocca, Lulu nimmt eine heiße Schokolade und einen Steak and Cheese Pie zum Teilen nehmen wir auch noch mit. Am Auto sortieren wir die erste Runde unsere Sachen und genießen die heißen Getränke und den Pie. Dann rollen wir weiter.