Rakiura Track

09.01. – Tag 1

Um 6:50 Uhr klingelt der Wecker. Für mich gibt es einen Müsliriegel, einen Keks und etwas Wasser zum Frühstück – ohne geht’s nicht. Zähneputzen und dann die Ausrüstung prüfen und final packen. Dann schmeißen wir den Motor an und fahren von Invercargill nach Bluff.

Dort angekommen stellen wir unseren Schorschel (so heißt der Campervan mittlerweile) auf den videoüberwachten Parkplatz vom Fährterminal und checken ein. Das Gepäck legen wir vor dem Terminal in dafür bereitgestellte Kisten ab. Nun heißt es warten bis die Fähre kommt und die Passagiere aufnimmt. Auf der Fähre stürzen wir uns auf unsere geschmierten Brötchen. Endlich was Richtiges.

Nach der Fährfahrt von Bluff nach Stewart Island, genauer gesagt nach Oban auf Stewart Island, warten wir darauf, dass die Kiste mit unseren großen Rucksäcken abgeladen wird. Dabei fällt uns auf, dass wir die Gaskartusche für unseren Campingkocher hätten deklarieren sollen. Ist aber anscheinend niemandem aufgefallen. Währenddessen fängt es auch zu regnen an. Gerade pünktlich für den Start unserer Mehrtageswanderung.

Wir gehen zuerst zum Büro der Nationalparkverwaltung. Dort gibt es aber auch keine neuen Infos für uns. Also werfen wir noch einen Blick in den Supermarkt, ob uns in letzter Minute noch ein Kauf ins Auge springt. Tut er aber nicht. Dann machen wir uns auf den Weg zum Start des etwa 5 km entfernten Rakiura Tracks. Das Wetter wechselt munter zwischen Regen und Nieselregen aus allen Himmelsrichtungen.

Am Ende eines Strandes fällt mir eine Höhle auf. Wir machen einen kleinen Abstecher. Die „Höhle“ ist vielleicht einen Meter breit und auch nicht viel tiefer. Dennoch ganz schön da Moos an den Wänden wächst und kleine Farne von der Decke hängen. Im Eingang steht ein Mann. Er sagt, er sei Franzose und heißt Yoan. Ich erwidere, dass er für einen Franzosen sogar ganz passables Englisch spricht, woraufhin er verrät, dass er schon seit über zehn Jahren in Neuseeland wohnt. Seine Frau zieht selbst bei diesem Schweinewetter schwimmend ihre Bahnen durch die kleine Bucht und er passt auf, dass ihr nichts passiert. Wir unterhalten uns eine ganze Weile. Er kommt auch aus der Informatik und wir lachen darüber, dass in ganz unterschiedlichen Firmen von verschiedenen Enden der Welt viele Dinge anscheinend sehr ähnlich laufen. Als Lulu und mir kalt wird, beschließen wir, dass Bewegung wohl am besten dagegen hilft. Bevor wir uns von Yoan verabschieden, sendet er mir direkt noch eine Kontaktanfrage über LinkedIn. „Man weiß ja nie“ sagt er.

Am offiziellen Start verschicken wir eine Nachricht per Satelliten-Messenger an die Familie zu Hause, dass es jetzt wirklich losgeht. Jemand kommt uns entgegen. Er sagt, er habe die kompletten 35 km an einem Tag gemacht und sei dazu heute früh um 6:00 Uhr aufgebrochen. Unsere erste Etappe werde wohl ganz schön, die zweite sehr modderig und die dritte wieder schön.

Nach einer Weile sind alle unsere Klamotten durchnässt. Die Aussicht ist aufgrund des Wetters nur begrenzt gut und zu allem Überfluss geht es ständig auf und ab – das zehrt und trägt nicht zur guten Laune bei. Das letzte Stück vor unserem Campingplatz geht es nur noch bergab. Das wird bestimmt ein guter Start in den Tag morgen.

Endlich am Ziel: Die Port William Campsite. Wir explodieren mit unseren Sachen auf eine der Bänke in der Schutzhütte. Die ist zu zwei Seiten offen, hat eine Kochtheke an der einen Wand, die besagte Bank entlang der anderen Wand und einen Esstisch mit Bänken in der Mitte. Außerdem gibt es Leinen und Haken, die teilweise schon belegt sind aber trotzdem noch genug Platz bieten, um unser Zeug zum Trocknen aufzuhängen.

Wir bauen das Zelt in der Schutzhütte auf, tragen es an einen freien Platz, der uns gefällt und verankern es mit Heringen. Als wir damit fertig sind, klart es langsam auf und der Regen lässt auch allmählich nach.

Hinter der Hütte gibt es fließend kaltes Wasser, das man aber vor Verwendung filtern oder noch besser abkochen sollte. Es schmeckt ein bisschen nach Dorfteich. Außerdem befindet sich ein bisschen versteckt um die Ecke ein Plumpsklo.

Lulu wärmt sich im Zelt auf und hält ein kleines Nickerchen. Ich kümmere mich derweil um die Wasseraufbereitung. Dabei komme ich mit David ins Gespräch, der mit seiner Frau Kim, seinen Söhnen Sean und Joe und seiner Tochter Caitlin ebenfalls den Rakiura Track wandert. Sie machen jedes Jahr eine größere Wanderung zusammen. Wir unterhalten uns über die ganz alltäglichen Dinge, ein bisschen Politik, Geschichte und Sport dürfen auch nicht fehlen, und über die feinen Unterschiede zwischen Neuseeland und Deutschland. Zwischendurch reiche ich die fertig abgekochten, noch warmen Flaschen ins Zelt, um bei Lulus Regeneration ein wenig nachzuhelfen. Ein einzelner Wanderer gesellt sich zu uns in die Hütte. Bis eben hat er in seinem Zelt gedöst. Er ist den Rakiura Track schon mal gewandert und wollte ihn jetzt innerhalb von zwei Tagen schaffen. Allerdings hat er keine Lust auf den modderigen Mittelteil und wandert morgen direkt wieder die Etappe nach Oban zurück, die er heute gekommen ist. Das kann ja was werden…

Als Lulus Körper wieder Normaltemperatur erreicht hat, gesellt sie sich ebenfalls dazu und wir bereiten unser Abendbrot vor – geschmierte Brötchen und Tomatencremesuppe aus der Tüte. Am Tisch sitzt schon die fünfköpfige Familie und spielt Karten. Wir setzen uns dazu und beobachten ein wenig die rege Kartenklopperei.

Darauf folgen zuerst der Abwasch (dafür nochmal Wasser abkochen), ein kleiner Spaziergang zum Bootsanleger, Zähneputzen und dann geht’s in die Heia.

Der Zeltplatz liegt direkt am Strand. Zum Einschlafen begleiten uns Vogelgesang, das Rauschen der Wellen und das Rauschen des Windes in den Bäumen. So brauche ich nichteinmal die Entspannungs-Geräusch-CD, die ich vor drei Wochen auf der Adventsfeier in der Firma erschrottwichtelt habe.

10.01. – Tag 2

Als wir aufwachen und unsere Köpfe aus dem Zelt strecken, steht genau am Übergang von Zeltwiese zum Strand ein Reh. Nach kurzer Zeit gesellt sich ein zweites dazu und irgendwann hauen die beiden dann auch wieder ab. Alle, die schon wach sind, gucken sich ein bisschen ungläubig an. Aber die Fotos belegen, dass die Rehe dort waren.

Wir beschließen zuerst das Zelt abzubauen und alles soweit wie möglich einzupacken und beginnen dann mit den Frühstücksvorbereitungen – Instant-Porridge, Apfel, Nussmischung mit Cranberries (die Mandeln haben deutlich mehr Aroma als in Deutschland oder bilden wir uns das nur ein?) und Tee oder Kaffee. Davids und Kims Familie hatte den Plan genau andersrum und der einzelne Wanderer ist schon weg. So haben wir den Tisch für uns.

Wir verpacken und verzurren alles und starten als letzte unsere zweite Etappe. Das Wetter ist heute deutlich besser. Nach kurzer Zeit holen wir David und Kim ein. Der Teil zurück zum eigentlichen Wanderweg ist gar nicht so schlimm, wie gestern befürchtet.

Nach einem bisschen Auf und Ab kommen wir an ein paar alten Maschinen zur Holzverarbeitung vorbei, die einfach zurückgelassen wurden und nun Attraktionen am Wegesrand sind.

Noch ein Stück weiter kommen die schlammigen Teile, vor denen wir schon gewarnt wurden. An einigen Schlammlöchern kann man sich vorbeiarbeiten, ein paar andere erwischen mich ziemlich gut und ich versinke teilweise bis zur Oberkante meiner Stiefel. Das bremst den Fortschritt merklich aus. Andererseits macht es mehr Spaß als ein ewiges Auf und Ab.

Es gibt lange Strecken, auf denen nichts anderes zu hören ist als die eigenen Schritte, ein bisschen Gequietsche von den Rucksäcken, der Wind in den Bäumen und natürlich die Vögel, die ein spektakuläres Konzert geben. Mit dabei ist der R2-D2-Vogel, der natürlich nicht so heißt. Wir haben ihn so getauft, weil er genauso klingt.

Hier und da hören wir von Leuten, dass sie einen Kiwi gesehen haben, entweder auf oder neben dem Weg. So viel Glück werden wir nicht haben. Vor uns verstecken sich die kleinen Racker anscheinend.

Irgendwann kommen uns Sean und Joe entgegen, die ihre Eltern vom Gepäck befreien wollen, damit sie etwas schneller vorankommen. Kurz danach fängt es an zu nieseln und dann ist die Etappe auch schon geschafft. Dieses Mal ist der Platz mitten im Wald. Eine Schutzhütte und ein Plumpsklo sind wieder mit von der Partie, genauso wie das abzukochende Wasser.

Vor Ort ist die Dorfjugend (hier ist zwar weit und breit kein Dorf, aber wie will man sie sonst nennen?), die mit einem Gewehr und einem Bogen bewaffnet ist. Sie wollen auf Jagd gehen. Ihre Beute sollen ausgewilderte Katzen, Possums und andere „Raubtiere“ sein, die hier auf der Insel eigentlich nichts zu suchen haben und nur die Kiwis gefährden. Als sie losziehen, hinterlassen sie zwei leere Weinflaschen… ob das gutgeht? Ein weiterer Grund zur Beunruhigung: Seit der Fähre haben wir keine Deutschen mehr gesehen (bzw. gehört), die sonst hinter jeder Ecke lauern.

Nach dem Abendbrot und Abkochen von Wasser macht unsere kleine Gaskartusche schon schlapp. Dabei hat die Größe auf unserer Wanderung in England 2022 für eine ganze Woche gereicht. Allerdings mussten wir dort auch kein Wasser abkochen, um es nutzen zu können. David, der es zusammen mit Kim auch ins Camp geschafft hat, springt zur Hilfe: Sie fliegen morgen nach Hause auf die Nordinsel und können ihre Kartuschen sowieso nicht mitnehmen, deshalb will er sie uns am nächsten Morgen einfach vors Zelt stellen, falls wir noch nicht wach sein sollten wenn sie loswandern.

Kurz nach Sonnenuntergang rücken wir nochmal mit David aus. Alle anderen der Familie sind so platt, dass sie im Zelt bleiben. Die Dorfjugend meinte, man muss nur den Weg ein bisschen zurückgehen und dann still sitzenbleiben, dann klappts auch mit den Kiwis. Wir probieren es an einer Stelle, wir probieren es an einer anderen Stelle – kein Kiwi lässt sich blicken. David verabschiedet sich und wünscht uns noch viel Glück. Er schläft fast im sitzen ein.

Immer wieder hören wir Kiwis. Als einer ganz dicht zu hören ist, kommt eine Gruppe Leute mit eingeschalteten Lampen vorbei. Einer von denen auch mit einer weißen Lampe, dabei hängt an den Hütten extra ein Hinweis, dass man bitte nur mit Rotlicht nach Tieren suchen soll, weil weißes Licht die Augen der Kiwis nachhaltig schädigen kann. Danach ist erstmal wieder Ruhe. Nach einer Weile piekst mich Lulu in die Seite: „Da ist was an meinen Füßen.“ Als ich mich bewege, um zu gucken, rast ein Schatten an meinen Füßen vorbei, ohne dass irgendwer von uns die Lampe anmachen könnte. Lulu behauptet felsenfest, dass es nicht auf vier Beinen gelaufen ist und der einzige Zweibeiner der Insel ist der Kiwi. Das war also unser Kontakt mit einem Kiwi. Ein vorbeihuschender Schatten. Wir harren noch eine Weile aus, aber das einzige was wir noch sehen, ist ein niedliches kleines Possum mit einem buschigen Schwanz, das vermutlich niedlicherweise die nativen, bodennistenden Vögel tötet und deshalb hier ein Schädling ist.

Wir gehen runter zum Wasser, wo auch die Hütte für die Herrschaften steht, die sich zu fein fürs Zelt sind (so wie wir es auf dem Kepler Track sein werden). Der Sternenhimmel haut uns um. Sowas haben wir noch nicht gesehen und alle Bilder, die wir davon machen, werden dem nicht gerecht werden. Als wir mit staunen fertig sind, gehen wir zurück zum Zeltplatz und ins Bett.

11.01. – Tag 3

Es hat über Nacht angefangen zu regnen. Die Fläche vor unserem Zelt steht unter Wasser. Schritte nähern sich. Eine Hand mit drei Gaskartuschen taucht unter dem Vorzelt auf. Die Familie scheint schon Marschbereitschaft hergestellt zu haben. Meinen die wirklich, sie könnten sich einfach so davonschleichen. Ich stehe auf, gehe zur Schutzhütte und wir erzählen noch ein wenig, während sie ihre letzten Sachen in die Rucksäcke sortieren. Ein bisschen erinnert es mich an die Abreise bei Kevin allein zu Haus. Dann sind sie fertig, wir verabschieden uns und dann sind sie weg.

Wir ziehen die Heringe, tragen das Zelt unter die Schutzhütte und bauen es dort ab, sodass die bisher trocken gebliebenen Teile nicht auch noch nass werden. Die Dorfjugend und die anderen beiden Wanderer gucken ein bisschen komisch, denn eigentlich ist die Hütte nicht für Zelte gedacht, lassen uns aber unser Ding machen. Danach gibt’s unser übliches Wanderfrühstück, dann wird alles final gepackt und los geht’s. Im Regen. Ganz toll. Heißt anscheinend nicht umsonst Regenwald.

Das Wetter ist doof, Aussicht auf die Buchten und Strände, an denen wir vorbeikommen, haben wir auch nicht, der Schlamm, der uns für gestern versprochen wurde, hat ein Revival… Immerhin geht es heute nicht so viel auf und ab. Lulus Laune ist noch schlechter als meine.

Auf einer Brücke treffen wir den verrückten Typen vom ersten Tag. Heute läuft er nicht die ganze Strecke. Er bringt seiner Frau, die mit Freundinnen unterwegs ist, ein paar Kekse und Riegel entgegen. Er meint wir hatten gestern Abend ein besseres Kiwi-Erlebnis als so manch Neuseeländer.

Als der Rakiura Track offiziell zuende ist und wir nur noch eine kleine Straße entlang nach Oban zurück laufen, kommt sogar die Sonne raus. Allerdings setzt sich der merkwürdige Trend des Tages fort: immer wenn es heller wird, fängt es stärker an zu regnen. Wenn die Wolken dunkel zuziehen, lässt der Regen stark nach oder hört komplett auf. Muss an der Südhalbkugel liegen oder so…

Nachdem wir auf dem Zeltplatz in Oban angekommen sind, stellen wir erstmal das Innenzelt in die Sonne und hängen die Bodenplane provisorisch in den Wind. Als beides trocken ist, ziehen wir die Bodenplane unter das Zelt und anschließend das Überzelt über das Innenzelt, sodass auch das noch trocknen kann. Da hätten wir uns gar nicht so viel Mühe geben müssen: Der Wind dreht noch ein bisschen auf und bringt auch einen ordentlichen Schwung Regen mit, sodass es an der einen Ecke ein bisschen ins Zelt tropft. Da die Wiese auch noch komplett nass ist, haben wir unsere großen Rucksäcke, die sonst im Vorzelt liegen, im Innenzelt. Das ist kuschelig…

Nach einem kleinen Nickerchen suchen wir den Pub auf und belohnen uns für die Strapazen mit Fish & Chips, einem ordentlichen Pint und einem Stück Kuchen hinterher.

Nach Einbruch der Dämmerung gehen wir noch eine Runde durch die Stadt. Angeblich soll es an verschiedenen Ecken Kiwis in der Stadt geben. Allerdings sehen wir keinen. Etwas enttäuscht gehen wir ins Bett. Morgen fahren wir zurück aufs Festland.


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